DAB 09/2012 | K-Frage
... zur Baukultur in Rheinland-Pfalz
Ziel erreicht: Sie beginnen zu lesen, weil allein der 11. Buchstabe unseres Alphabets schon einen Bezug zur vermeintlich wichtigen Kanzler- oder Kandidatenfrage in Aussicht stellt. Der Traum eines jeden Werbemachers - ein extrem kurzer Begriff weckt größtes Interesse und erschließt einen kleinen Informationskosmos.
Deshalb surfen wir als Kammer seit Jahren stetig auf einer „Mehr-Welle“ und haben damit sicher erreicht, dass in Rhein-land-Pfalz und darüber hinaus Jeder weiß, dass er vom Berufsstand der Architekten angesprochen wird, wenn er eine „Mehr Irgendwas“-Werbung in die Finger bekommt. Unbestritten weckt die Kampagne das gewünschte Interesse und verbindet vielerlei Mehrwert mit uns.
Selbst die provokante Überschrift „Weniger Mehr“ des Leitartikels im April-Heft weiß zu nutzen, dass das eine Wort für „einen Sack voller Themen“ in unserer Öffentlichkeitsarbeit steht, die es stetig zu überdenken gilt. Dass „Mehr“ selbst steht dabei nicht zur Debatte. Das „Was Mehr“ haben wir zu diskutieren, denn schlimmstenfalls wecken wir falsche Hoffnungen. „Mehr Baukultur“ z.B. würde ich gerne mal auf den Kieker nehmen, auch wenn das auf den ersten Blick irritiert. Der Slogan suggeriert, wir Architekten seien vermittels hoher Baukunst die Gralshüter der Baukultur. Er kann aber auch - mit hinzugedachtem Ausrufezeichen - als Apell verstanden werden, dem man durch Zusammenarbeit mit uns gerecht wird. Beides ist zu kurz gesprungen, wenn nicht sogar falsch.
Der Grad an erreichter oder verloren gegangener Baukultur spiegelt nicht etwa die Leistungsfähigkeit unseres Berufs-standes wider, sondern in erster Linie die Verfassung unserer Gesellschaft und deren politischer Vertreter.
Er zeigt sich unter Anderem in hässlichen Gewerbezonen und banalen, verschandelnden Verkaufsstätten an Orts- und Stadteingängen, in verunstaltender Aufrüstung von Gebäuden mit Dämmung und PV-Anlagen, in ungebremster Verspargelung von Landschaften mit Windrädern auch am unpassendsten Ort.
Allem vorausgegangen sind Entscheidungsprozesse mit verengtem Blick auf einzelne, zumeist ökonomische Ziele; eine Abwägung von Auswirkungen auf das Bild unserer derart kultivierten Land-schaft und Umgebung bleibt aus. Diese Baukultur kann nicht die sein, welche wir gemäß §15 ArchG gesetzlich verpflichtet zu fördern haben.
Einerseits wird der Begriff geradezu in-flationär in Wort und Schrift verbraucht, andererseits sehen wir eine ernüchtern-de Ergebnislage in unserem Land. Vor diesem Hintergrund haben wir im Vor-stand diskutiert, was denn jeder Einzelne unter Baukultur versteht, welches gesellschaftliche und politische Handeln er glaubt fordern zu müssen, um Baukultur auf ein höheres Niveau zu heben. Ein Niveau, das weniger uns Architekten gerecht werden muss, als den Menschen, die wahrnehmen, wieviel Unschönes ins alltägliche Blickfeld drängt, die gleich-wohl keine hörbare Stimme in der öffentlichen Diskussion haben.
Wir Architekten schaffen nicht die Baukultur; das macht die Gesellschaft, in der wir leben. Wir haben aber auf Fehlent-wicklungen und mögliche Entwicklungspotentiale hinzuweisen. „Jeder Eingriff ist Zerstörung. Zerstöre mit Verstand!“ postulierte einst der Tessiner Architekt Luigi Snozzi und brachte auf den Punkt, dass alles Bauen ein Verstehen von Zusam-menhängen erfordert. Dazu bedarf es aber weit mehr als gut ausgebildeten Planern.
Wir brauchen ein Mehr an Erziehungskultur, weil unsere Kinder als spätere Entscheidungsträger herangeführt wer-den müssen an die Bedeutung von Gestaltung für ihre Umwelt - man sieht nur, was man weiß.
Wir brauchen ein Mehr an Mitbestim-mungskultur, weil sich viele Menschen bei der Projektierung von Großvorhaben übergangen fühlen - hat man sich das Nürburgring-Spektakel in der Eifel wirklich gewünscht?
Wir brauchen ein Mehr an Gesprächskultur, weil nur in der ergebnisoffenen Diskussion alle Belange ausreichend be-rücksichtigt werden können - Alibi-Bürgerforen sind keine Lösung.
Wir brauchen ein Mehr an Vergabekultur, weil es nicht genügt, als Musterland in Europa der gebotenen Transparenz und Gleichbehandlung zu frönen, aber keine Spielräume für Kreativität, Phantasie, Innovationen und Qualitätswettbewerb zu schaffen.
Wir brauchen ein Mehr an Handwerkskultur, weil Bauschaffende verantwortlich sind für ein ansehnliches Ergebnis, aber mehr und mehr der ausschließlich profitorientierten Auftragsabwicklung nachkommen.
Wir brauchen ein Mehr an Erinnerungskultur, weil baukulturelles Erbe nur zu schützen ist, wenn wir es als solches wahrnehmen und erkennen. Viele laufen schon Gefahr zu vergessen, welche inhaltliche und gestalterische Bedeutung die Werke der Nachkriegsmoderne nach den fürchterlichen Kriegsverlusten für den Wiederaufbau und unsere Elternge-neration hatten. Abrissdiskussionen um Ikonen wie dem Mainzer Rathaus oder dem BASF-Hochhaus in Ludwigshafen zeugen davon.
Wir brauchen ein Mehr an Abwägungskultur, die es uns ermöglicht, Wichtigeres vor Unwichtigeres zu stellen. Vielleicht gelangen wir zur Erkenntnis, dass Weiterentwicklung von Kultur bedeutsamer ist als die Beobachtung verdrießlicher, mit stagnierender Politik einhergehender Wahlkampfzeiten … auch eine K-Frage; schön, dass Sie bis hierhin gelesen haben.